Die Ukraine sieht sich nicht nur mit äußeren, sondern auch mit internen Herausforderungen konfrontiert
Während die Ukraine am Sonntag eine neue Offensive im russischen Kursk begonnen hat, kämpft sie im Donbas weiter mit Rückschlägen. Der ehemalige Armee-Offizier und Gründer der Analysegruppe „Frontelligence Insight“, Tatarigami, hat in einem Gastbeitrag für die „Euromaidan Press“ die Defizite in der ukrainischen Armeeführung und die Probleme im Mobilisierungssystem offengelegt.
Ungerechte Wehrpflicht als Problem
Tatarigami nennt die Wehrpflicht in der Ukraine „zutiefst ungerecht“: „Während wohlhabende und gut vernetzte Menschen oft Wege finden, sich dem Dienst zu entziehen, werden die Schwächsten der Gesellschaft – Arme, gesundheitlich angeschlagene Personen und Menschen mit Alkoholproblemen – zum Dienst gezwungen.“ Diese strukturelle Ungleichheit schwäche nicht nur die Moral, sondern auch die Kampfkraft der Truppen.
Führungsversagen und strategische Fehler
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das militärische Führungsverhalten. Tatarigami spricht von mangelnder Koordination und ineffektiver Entscheidungsfindung, die dazu geführt hätten, dass wichtige Chancen an der Front ungenutzt blieben.
Mobilisierungskrise verstärkt Rückschläge
Die Probleme bei der Rekrutierung und Ausbildung neuer Soldaten erschweren es der Ukraine, Verluste an der Front auszugleichen. Die Kritik: Es fehle nicht nur an Ressourcen, sondern auch an einem fairen und transparenten Mobilisierungssystem.
Reaktionen auf die Kritik
Die Aussagen von Tatarigami haben in ukrainischen und internationalen Medien hohe Wellen geschlagen. Während einige seine Offenheit begrüßen, werfen andere ihm vor, der Ukraine in einer kritischen Phase des Krieges zu schaden.
Dennoch zeigt der Beitrag, dass die Ukraine nicht nur mit der militärischen Aggression Russlands, sondern auch mit internen Problemen zu kämpfen hat. Wie die Führung in Kiew auf diese Herausforderungen reagiert, könnte entscheidend für den weiteren Verlauf des Krieges sein.

Dabei gebe es keineswegs einen allgemeinen Unwillen, gegen Russlands Truppen zu kämpfen. Die Probleme träfen vor allem die Infanterie, während Einheiten der Luftwaffe, der Logistik oder auch Kamikaze-Drohnen-Operateure weitaus weniger betroffen seien.
Der prominente Analyst schreibt: „Die harte Realität der Infanteriekämpfe kann nicht ignoriert werden: Je länger ein Soldat an der Front dient, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er heil – oder überhaupt – nach Hause kommt.“
Die einseitige und unfaire Rekrutierung ukrainischer Infanteristen schwächt den Verteidigungskampf gegen Russland auf mehreren Ebenen.
„Gefahr einer vollständigen Niederlage“
Gleichzeitig übt der Experte scharfe Kritik an der Argumentation der ukrainischen Regierung, dass der Aufbau weiterer Brigaden erst nach der Lieferung ausreichender westlicher Waffen erfolgen könne.
„Die Ukraine riskiert eine vollständige Niederlage, wenn sie die Mobilisierung weiter verzögert und darauf setzt, dass westliche Ausrüstung geliefert wird, die möglicherweise nie ankommt“, warnt der Militärexperte eindringlich.
Zudem gebe es nach wie vor zu viele Überbleibsel aus Sowjetzeiten in der Struktur der ukrainischen Armee. „Sowohl das ukrainische als auch das russische Militär leiden unter einer toxischen Kultur, die durch unehrliche Berichterstattung innerhalb der Befehlskette geprägt ist“, kritisiert der Experte.
Er erläutert weiter: „Offiziere lernen schnell, dass die Eingeständnis von Problemen Konsequenzen nach sich zieht. Deshalb erscheint es ihnen sicherer, die Fassade zu wahren und so zu tun, als sei alles in bester Ordnung – selbst wenn ihre Einheiten auseinanderbrechen.“
Keine schnellen Entscheidungen
„Notwendige Entscheidungen werden entweder gar nicht oder viel zu spät getroffen“, bemängelt Tatarigami weiter. „Was eigentlich eine schnelle Reaktion auf dem Schlachtfeld sein sollte, entwickelt sich zu einem bürokratischen Albtraum, bei dem alle Führungsebenen eingebunden werden.“
Zudem übt der Experte Kritik an der unklaren Haltung des Westens gegenüber der Ukraine. Diese Unbestimmtheit habe zu einer wachsenden „Wahrnehmung des Verrats“ innerhalb der ukrainischen Gesellschaft und Streitkräfte geführt. „Das Vertrauen in den vermeintlichen Partner West wird dadurch erheblich erschüttert“, warnt er.
Kritik an Wolodymyr Selenskyj
Der Experte übt auch scharfe Kritik an der Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj (46) in Kiew: „Ihr entscheidender Fehler war, die Auslandshilfe als Schlüssel zum Sieg zu propagieren und dabei die ungelösten internen Probleme bewusst zu vernachlässigen.“
Diese Strategie, so der Analyst, bringe die Ukraine gefährlich nah an den Rand einer militärischen Niederlage gegen Russland. Nur durch umfassende und radikale Reformen sei es noch möglich, das Blatt zu wenden.