Im Januar fällt der „Blue Monday“ – der offiziell als der „traurigste Tag des Jahres“ bezeichnet wird. Doch was hat es mit diesem Tag auf sich und wie kann man dem Winterblues entgegenwirken? Ein Psychotherapeut gibt wertvolle Tipps.
Der britische Psychologe Cliff Arnall hat angeblich den traurigsten Tag des Jahres mit einer Formel berechnet. Laut seiner Berechnung fällt der „Blue Monday“ jedes Jahr auf den dritten Montag im Januar und soll besonders melancholisch stimmen. Das englische Wort „blue“ bezieht sich dabei nicht auf die Farbe, sondern bedeutet „niedergeschlagen“ oder „traurig“.
Arnall stützt seine Berechnung auf mehrere Faktoren: das trübe Winterwetter, die finanziellen Belastungen durch Weihnachtsgeschenke, ein niedriges Motivationslevel und die Tatsache, dass viele Neujahrsvorsätze bereits gescheitert sind. Auch wenn die Formel umstritten ist, nutzt man den „Blue Monday“ als Anlass, um auf die Bedeutung psychischer Gesundheit hinzuweisen.
Aktionstag für mehr Bewusstsein Bernhard Backes, Psychotherapeut und therapeutischer Leiter bei MindDoc, erklärt im Interview, warum solche Aktionstage wichtig sind. Sie helfen dabei, das Bewusstsein für psychische Erkrankungen zu schärfen. Er merkt jedoch an, dass Aktionstage dann nicht mehr nötig wären, wenn psychische Erkrankungen in der Gesellschaft genauso selbstverständlich behandelt würden wie körperliche Verletzungen.
Trotzdem zweifelt Backes an der wissenschaftlichen Basis der „Blue Monday“-Formel. Schließlich herrschen nicht überall auf der Welt Dunkelheit und Kälte, und nicht jeder hat sich über die Feiertage finanziell übernommen oder startet deprimiert in die Arbeitswoche.
Trotzdem sieht Backes auch positive Aspekte: „Der Blue Monday könnte eine Gelegenheit sein, innezuhalten und sich mit der eigenen Stimmung und dem Wohlbefinden auseinanderzusetzen.“
Winterdepression: Was steckt dahinter? Viele Menschen klagen in den Wintermonaten über Erschöpfung und Stimmungstiefs. Backes erklärt, dass das reduzierte Sonnenlicht den Stoffwechsel, die Stimmung und den Schlaf beeinträchtigt. Dies führt zu einer erhöhten Produktion von Melatonin und einem Rückgang des „Glückshormons“ Serotonin. Auch der Vitamin-D-Mangel kann die Laune beeinträchtigen.
Große und unspezifische Neujahrsvorsätze können ebenfalls eine Quelle der Frustration sein. Stattdessen empfiehlt der Experte, kleine, realistische Zwischenziele zu setzen. Diese sind meist besser erreichbar und fördern den Erfolg. Dennoch erklärt er, dass saisonale Depressionen, die im Frühling verschwinden, nur selten auftreten.
Das „Verstärker-Verlust-Modell“ Backes führt den Anstieg psychischer Erkrankungen im Winter auf das „Verstärker-Verlust-Modell“ zurück. Dieses Modell besagt, dass der Verlust positiver Verstärker – wie Unternehmungen oder soziale Kontakte – zu psychischen Problemen führen kann. Im Winter, wenn viele Menschen in der Dunkelheit zur Arbeit gehen und zurückkehren, fehlt oft das notwendige Sonnenlicht und der soziale Austausch, was in eine depressive Spirale führen kann.
Winterblues: Experten-Tipps Um einem Winterblues vorzubeugen, gibt es einige hilfreiche Ansätze. Backes betont die Bedeutung von Selbstfürsorge. Wer auf seine eigenen Bedürfnisse achtet, erkennt Defizite schneller und kann ihnen entgegenwirken. Es geht dabei nicht nur um grundlegende Bedürfnisse wie Schlaf, Ernährung und Bewegung, sondern auch um psychische Bedürfnisse. Ist man noch ausreichend sozial eingebunden? Fühlt man sich selbstbestimmt oder fremdgesteuert? Wie steht es um den Selbstwert?
Schmerzhafte Gefühle wie Traurigkeit oder Ärger sind häufig Indikatoren dafür, dass ein Bedürfnis nicht erfüllt ist. Auf dieser Basis kann man sich kleine, positive Ziele setzen, die das Wohlbefinden steigern – wie etwa ein Spaziergang.
Backes betont, dass es keine Garantie gibt, vor psychischen Erkrankungen gefeit zu sein. Es sei jedoch wichtig, rechtzeitig Hilfe zu suchen. Neben der traditionellen Therapie gibt es auch digitale Angebote wie Apps oder Online-Therapie.
Trotz des Anstiegs psychischer Erkrankungen ist Backes optimistisch. Das Bewusstsein wächst weiter, und immer mehr Menschen sind bereit, sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen. „Bereits im Kindergarten lernen Kinder, über ihre Gefühle zu sprechen“, sagt er. Dies könne ein wichtiger Schutzfaktor für die Zukunft sein.