Wenn Arbeit sich nicht mehr lohnt: Die stille Wut deutscher Rentner

Renten-Realität in Europa: Warum deutsche Senioren im Vergleich schlechter dastehen

Berlin Während Menschen in Deutschland bis 67 arbeiten und dafür im Ruhestand oft nur überschaubare Beträge erhalten, zeigt ein Blick ins europäische Ausland: Es geht auch anders. Länder wie Dänemark oder die Schweiz zahlen ihren Rentnern deutlich höhere monatliche Beträge obwohl auch Deutschland Milliardensummen in die Rentenkasse pumpt.

Europas Ruheständler ein Vergleich

In Nordeuropa beziehen viele Seniorinnen und Senioren monatlich bis zu 2.000 Euro staatliche Rente, in Deutschland liegt der Durchschnittswert bei rund 1.100 Euro. Wo liegen die Unterschiede? Thepik.de hat die Systeme verglichen:

LandRentenalterBeitragszahlerDurchschnittsrente netto/Monat
Deutschland67 Jahre (steigend)Arbeitnehmer & Arbeitgeberca. 1.100 €
Frankreich64 Jahre (steigend)Arbeitnehmer & Arbeitgeberca. 1.350 €
Österreich65 J./60 J. (steigend)Alle Erwerbstätigen & Arbeitgeberca. 1.480 €
Schweiz65 J./64 J. (steigend)Alle Erwerbstätigen & Arbeitgeberca. 2.000 €
Norwegen67 JahreAlle Erwerbstätigen & Arbeitgeberca. 1.700–2.000 €
DänemarkBis zu 70 JahreSteuerzahler & alle Erwerbstätigen

ca. 2.000 €

 

Was machen die Nachbarn anders?

▶ Dänemark koppelt das Rentenalter an die Lebenserwartung:
Das Renteneintrittsalter steigt dynamisch mit der durchschnittlichen Lebenserwartung aktuell bis auf 70 Jahre. Proteste gibt es dort kaum, in Deutschland wäre ein solcher Schritt schwer durchsetzbar. Experten halten ihn dennoch für nötig.

▶ Skandinavisches Modell: Mindestrente für alle
In Norwegen garantiert der Staat jedem, der mindestens 40 Jahre sozialversichert war, eine monatliche Mindestrente von rund 1.700 Euro. Auch in Dänemark gibt es eine staatliche Grundrente für alle Bürger finanziert aus Steuermitteln.

▶ Kapitaldeckung statt Umlagesystem
Norwegen finanziert die üppigen Renten über den weltgrößten Staatsfonds, gefüllt mit Erlösen aus dem Ölgeschäft (1,6 Billionen Euro). Auch die Schweiz und Dänemark setzen auf zusätzliche Erträge aus Kapitalanlagen. Deutschland dagegen bleibt beim Umlagesystem: Aktive Arbeitnehmer zahlen direkt für heutige Rentner bei wachsender Zahl der Ruheständler und sinkender Zahl von Beitragszahlern. Das sorgt für wachsende Finanzierungsprobleme: 2024 musste die Bundesregierung bereits 110 Milliarden Euro an Steuergeldern zuschießen.

▶ In Österreich und der Schweiz zahlen alle ein
Während in Deutschland nur angestellte Arbeitnehmer (und deren Arbeitgeber) in die Rentenkasse einzahlen, leisten in Österreich, der Schweiz und Norwegen auch Selbstständige, Beamte und Politiker ihren Beitrag.

▶ Frankreich: Früher in Rente, mehr Geld dank höherer Staatszuschüsse
Trotz niedrigerem Renteneintrittsalter und höherer Durchschnittsrente investiert Frankreich enorme Summen aus dem Staatshaushalt in die Altersversorgung: 14 Prozent des BIP fließen in die Rentenversicherung (Deutschland: 9 Prozent). Das sorgt für politische Diskussionen, garantiert aber höhere Zahlungen an die Rentner.

Fazit:
Das deutsche Rentensystem steht im internationalen Vergleich zunehmend unter Druck. Während andere Länder auf Grundrente, Kapitaldeckung oder eine breitere Finanzierung setzen, wächst in Deutschland die Sorge, dass künftige Generationen immer mehr arbeiten müssen und trotzdem immer weniger im Ruhestand haben.

Prof. Bernd Raffelhüschen (67) wirbt für längeres Arbeiten
Prof. Bernd Raffelhüschen (67) wirbt für längeres Arbeiten

Zahlen deutsche Beitragszahler für höhere EU-Renten mit?

Immer wieder taucht die Frage auf, ob Deutschlands Milliardenzahlungen an die EU auch die Renten in anderen Ländern finanzieren. 2023 etwa überwies Deutschland über 17 Milliarden Euro mehr nach Brüssel, als es aus EU-Töpfen zurückbekam. Profitieren davon also Rentner in EU-Ländern wie Polen, Rumänien oder Ungarn?

Rentenexperte Johannes Geyer (47) vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt klar: „Die EU-Mittel sind an bestimmte Verwendungszwecke gebunden etwa an Strukturhilfen oder Förderprojekte für Regionen und Entwicklungsprogramme. Es ist nicht erlaubt, diese Gelder direkt zur Finanzierung nationaler Rentenkassen zu verwenden.“

Was muss Deutschland tun, damit das Rentensystem stabil bleibt?

Nach Einschätzung von Geyer braucht Deutschland dringend mehr Beitragszahler. „Ohne qualifizierte Zuwanderung steuern wir auf schwierige Zeiten zu“, warnt er. Auch Selbstständige sollten künftig verpflichtend in die Rentenkasse einzahlen. „Neue Versicherte können das Grundproblem zwar nicht vollständig lösen, aber sie verschaffen uns wertvolle Zeit. In diesen Jahren könnten wir parallel einen zusätzlichen Kapitalstock für die Rente aufbauen.“

Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen empfiehlt zudem, das Renteneintrittsalter weiter zu erhöhen: „Jetzt sollten wir den Vorstoß von Katherina Reiche ernst nehmen und uns zügig auf die Rente mit 70 zubewegen“, betont er.

Hintergrund: Die Experten im Überblick

  • Bernd Raffelhüschen ist Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg, Sozialexperte und Mitglied im Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft. Er forscht seit Jahren zu Fragen der sozialen Sicherung, Migration und den Herausforderungen des demografischen Wandels.

  • Johannes Geyer ist stellvertretender Leiter der Abteilung Staat am DIW Berlin. Sein wissenschaftlicher Fokus liegt auf der empirischen Analyse sozialer Sicherungssysteme und dem Einfluss des demografischen Wandels.